DIE LINKE GROSSSTADTPARTEI DES 21. JAHRHUNDERTS
Wie die SPD wieder zur Berlin-Partei werden kann
Für wen sollte die Berliner SPD eigentlich Politik machen? Diese Frage beschäftigt viele Menschen in unserer Partei – auch uns. Die Antwort auf diese Frage fällt oft unterschiedlich aus. Je nachdem, wen man fragt. Manche sagen, die SPD solle Politik vor allem für Menschen machen, die von Armut betroffen oder bedroht sind. Prekär Beschäftigte, Arbeitslose, Menschen in Altersarmut. Andere widersprechen und wollen stärker die arbeitende Mitte in den Blick nehmen: Facharbeiter:innen, Beamt:innen, Gewerbe- und Handwerksbetriebe. Und wiederum andere beklagen, die Berliner SPD beschäftige sich zu viel mit gesellschaftlichen Minderheiten. Mit Menschen mit Migrationshintergrund, queeren Menschen, Geflüchteten. Zu viel Innenstadt und S-Bahn-Ring, zu wenig Stadtrand und Autobahn.
Alle diese Antworten teilen dasselbe Kernproblem: Sie schließen bestimmte Gruppen von unserer Politik aus oder erklären deren Belange für weniger wichtig als die Belange anderer. Sie spalten unsere Stadt: In Innenstadt und Außenbezirke. In Migrant:innen und Urberliner:innen. In Autofahrer:innen und Radfahrer:innen. In Arbeitslose und Beschäftigte. Das hilft uns aber nicht weiter. Die Wiederholungswahl im Februar 2023 hat gezeigt: in einem politisch polarisierten Klima, in dem CDU und Grüne immer jeweils einen Pol der Debatte einnehmen, wird die SPD zerrieben. Deshalb müssen wir einen Weg aus dieser Polarisierung finden.
Wir sind überzeugt: Die Berliner SPD kann nur dann wieder erfolgreich sein, wenn wir das Gemeinsame suchen. Sie war historisch immer stark, wenn sie die Vielfalt der Berliner:innen hinter einem gemeinsamen Verständnis und einem Zukunftsversprechen unserer Stadt vereinen konnte. Uns auf einzelne Gruppen zu beschränken, macht uns klein – und verkennt die Berliner Lebensrealität und die sozialdemokratische Idee. Wir müssen wieder eine Klammer um die Mehrheit der Stadtgesellschaft setzen.
Was uns eint: der Kampf gegen den Metropolenstress
Diese Klammer ist für uns der tägliche Kampf gegen den Metropolenstress. Die Wohnungssuche. Die Mieterhöhungen. Der Berliner Straßenverkehr. Die Kitaplatzsuche. Der Bürgeramtstermin. Der Hitzesommer. Nahezu alle Berliner:innen sind diesem Stress gleichermaßen ausgesetzt. Wir sind der Überzeugung, dass ein grundlegendes Bedürfnis die überwältigende Mehrheit der Berliner:innen vereint: die alltäglichen Herausforderungen dieser Stadt zu meistern.
Wir sagen selbstbewusst: Die Berliner SPD muss Politik für alle Berliner:innen machen, die sich nicht von diesem Metropolenstress freikaufen können. Für alle, die auf staatliche Betreuungsangebote angewiesen sind, weil sie sich keine 24/7-Nanny leisten können. Für die 80% der Berliner:innen, die zur Miete wohnen, weil sie keine Eigentumswohnung haben. Für alle, die den Mieterhöhungen der Investoren ausgeliefert sind, weil sie sich keinen Rechtsanwalt leisten können. Für alle, die ihren beruflichen Alltag und ihren Haushalt unter einen Hut bekommen müssen, weil sie sich keine Reinigungskraft leisten können. Für alle, die auf das öffentliche Schienen- und Straßennetz angewiesen sind, weil sie pünktlich auf der Arbeit sein müssen– und nicht im Homeoffice arbeiten können. Für alle, die sich selbst um die Pflege ihrer Angehörigen kümmern, weil sie sich keinen Platz in einem idyllischen Seniorenheim für ihre Eltern leisten können. Für alle, die jedes Jahr bangen, ob sie ihren Laden im Kiez weiter betreiben können, weil ihre Gewerbemiete sich von heute auf morgen verdreifachen könnte. Für alle, die mit ihrem Unternehmen einen wichtigen Beitrag für unsere Stadt leisten.
Wir sind davon überzeugt, dass die überwältigende Anzahl der Berliner:innen zu diesen Menschen gehört. Egal ob sie in Berlin geboren oder zugezogen sind, einen Migrationshintergrund haben, Akademiker:innen sind oder im Handwerk arbeiten, queer sind, alt oder jung sind, berufstätig oder arbeitslos sind, in Hellersdorf oder in Kreuzberg leben, Rad oder Auto fahren.
Ob man in Berlin gut leben kann, darf nicht davon abhängen, ob man sich das gute Leben hier erkaufen kann oder nicht. DAS ist unsere Klammer.
Unsere Antwort auf den Metropolenstress: der starke Staat
Unsere Antwort auf den Metropolenstress ist der starke Staat. Immer mehr Berliner:innen haben das Gefühl, der Staat sei gegenüber ihren Problemen machtlos. Schlimmer noch: Sie haben das Gefühl, dass der Staat zu ihrem Stress beiträgt. Der Staat darf jedoch nicht der Grund des Stresses sein, sondern muss die Berliner:innen schützen und dazu befähigen, ihre Alltagsprobleme zu meistern. Ein starker Staat kann das – und er muss wirkmächtig sein.
Wer in unserer Stadt – wie die allermeisten von uns – seinen Beitrag zur Gemeinschaft leistet, dem muss die Stadt etwas zurückgeben. Dazu gehören: Ein lebenswerter und sicherer öffentlicher Raum. Eine funktionierende Infrastruktur. Eine serviceorientierte und digitalisierte öffentliche Verwaltung. Schutz vor der Profitmaximierung von Immobilienkonzernen und Spekulanten. Schutz vor Verdrängung. Und die verlässliche Unterstützung, das tägliche Leben in einer wachsenden Metropole bewältigen zu können.
Das gilt auch für die Wirtschaft: Wer in Berlin langfristig investieren möchte, für die Stadt Prosperität und sichere Arbeitsplätze schafft, Menschen ausbildet und in Gute Arbeit bringt, soll dabei natürlich auch Geld verdienen können. Wer jedoch nur in Berlin tätig ist, um Finanzmittel zu parken oder Spekulationsgewinne einzustreichen, muss damit rechnen, dass der starke Staat einschreitet.
Unsere konkreten Ideen für einen starken und handlungsfähigen Staat:
1. Der Starke Staat muss wirkmächtig sein. Endlich raus aus der Mietenkrise!
Es ist mittlerweile klar, dass es nicht die eine Lösung gibt, die das Angebot an bezahlbarem Wohnraum sofort erhöht. Angesichts der sich immer weiter verschärfenden Situation müssen wir feststellen: Unsere bisherigen Bemühungen reichen nicht aus. Hunderttausende Mieten in Berlin verstoßen gegen die Mietpreisbremse. Ohne Wissen über die Mietverträge der Vormieter:innen und genug Geld für einen Rechtsanwalt, kommen hunderttausende Berliner:innen tagtäglich nicht zu ihrem Recht. Der starke Staat steht bereit, um geltendes Recht durchzusetzen. Berlin braucht eine Mietenpolizei. Gemeinsam mit Expert:innen aus Partei, Fraktion, Regierung und Expert:innen aus den Mieterverbänden und Jurist:innen möchten wir einen Vorschlag entwickeln, wie die Bezirke und der Senat trotz der zivilrechtlichen Natur der Mietpreisbremse eine stärkere Kontrolle gewährleisten und das Berliner Zweckentfremdungsverbot von Wohnraum durchsetzen können. Außerdem wollen wir den Vorschlag einer progressiven Steuer auf hohe Mieten mit neuem Leben füllen und somit mehr Mittel für den bezahlbaren Wohnungsbau durch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sichern. Ebenso möchten wir ein Berliner Programm für Werkswohnungen starten, indem wir ungenutzte Industrieflächen in Stadtrandlagen nutzen, um dringend benötigten Wohnraum für Fachkräfte und Arbeitnehmer:innen in der nachhaltigen Produktion zu schaffen. Aktuell stehen über eine Million Quadratmeter Büroflächen leer. Mit einer Umwandlungsoffensive wollen wir weiteren bezahlbaren Wohnraum schaffen.
2. Der starke Staat gestaltet. Wir müssen Zukunftsinvestitionen sichern.
Die Haushaltslage in Berlin ist angespannt wie seit den 2000er Jahren nicht mehr. Es darf dabei für die SPD nicht ausreichen, sich lediglich für die Verhinderung noch stärkerer sozialer Kürzungen zu feiern. Wir müssen dafür sorgen, dass wir auch weiterhin investieren können. Darauf zu hoffen, dass der Bund irgendwann vielleicht die Schuldenbremse reformiert, reicht nicht aus. Wir müssen selbst ins Handeln kommen. Deshalb fordern wir die Einrichtung eines Darlehensfonds, über den Investitionen – unter der Maßgabe der Einhaltung klarer sozialer Kriterien – in Klimaschutz und die Transformation der Wirtschaft getätigt werden können. Das entlastet den Kernhaushalt. Zudem müssen die Kreditrahmen unserer landeseigenen Unternehmen voll ausgereizt werden, damit Investitionen in den Wohnungsbau und den ÖPNV gewährleistet werden können. Wir müssen eine ernsthafte Diskussion über neue Einnahmequellen führen. Dazu sehen wir eine progressive Mietensteuer auf überhöhte Mieten, eine Leerstandsabgabe oder die “City-Tax” im Tourismus als geeignet an.
3. Der starke Staat muss sicherstellen, dass Gute Arbeit den Zugang zu Teilhabe und zu gutem Leben schafft.
Die Berliner SPD muss der Motor dafür sein, dass Berlin von der Hauptstadt der prekären Arbeit zur Hauptstadt der Guten Arbeit wird. Dafür muss der Staat für eine höhere Tarifbindung und eine strengere Verfolgung von Union-Busting sorgen. So wollen wir die Gewerkschaften und die Beschäftigten stärken, sich für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen einzusetzen. Wir wollen zudem die Ausbildungsbeteiligung der Berliner Unternehmen erhöhen und die Ausbildungsbedingungen anhand eines Azubiwerkes mit einer Offensive für Azubi-Wohnraum verbessern. Wir wollen eine neue Strategie zur Industrieansiedlung entwickeln, um Gute Arbeit und attraktive Ausbildungsplätze in der Stadt zu fördern. Unsere Industriestrategie 2.0 dient auch dem Zweck, den sozial-ökologischen Umbau der Berliner Wirtschaft voranzutreiben. Berlin muss attraktiver für die Ansiedlung “grüner” Produktionsindustrie werden. Dazu müssen wir im Hinblick auf Gute Arbeit unseren Fokus um Selbstständige und Solo-Selbstständige erweitern, die häufig auch von prekärer Arbeit betroffen sind.
4. Der starke Staat muss integrationsfähig sein. Für eine humane Migrationspolitik, die Zuwanderung und Wirtschaft zusammen denkt.
Zu lange hat sich die Sozialdemokratie in der Migrationsdebatte von konservativen und teils rechten Narrativen treiben lassen. Das war nicht nur aus unserer humanitären Verantwortung heraus falsch. Das war Politik an den wirtschaftlichen Bedürfnissen dieses Landes vorbei. Diese Gesellschaft braucht dringend Zuwanderung, um ihren Wohlstand erhalten zu können. Wir brauchen jede helfende Hand – nicht nur den Facharbeiter oder die IT-Expertin, sondern alle, die hier arbeiten und ihren Beitrag leisten wollen. Wir müssen die Menschen schneller in den Arbeitsmarkt bekommen, ihnen schneller die Sprache beibringen, ihre Abschlüsse leichter anerkennen und sie schneller Teil unserer Gesellschaft werden lassen. Als SPD müssen wir Migrations- und Wirtschaftspolitik endlich zusammendenken, im Sinne eines sozialdemokratischen Aufstiegsversprechens.
5. Der starke Staat schafft ein Grundgerüst für alle. Für mehr anstatt weniger öffentlicher Daseinsvorsorge.
Die Menschen in Berlin sind am Limit. Oft auch schon darüber hinaus. Die Reallöhne stagnieren, die Inflation hat die Preise explodieren lassen, die Mieten steigen kontinuierlich, Anträge beim Bürgeramt dauern ewig – sofern man überhaupt einen Termin bekommt. Diejenigen, die mit ihrem Einkommen jenseits der Einkommensgrenzen für Unterstützungsleistungen wie Wohngeld oder BAföG liegen, empfinden das oft als unfair. Bei vielen macht sich Frust breit: Politik macht oft etwas für andere, aber was macht Politik eigentlich für mich? In einer solchen Situation davon zu sprechen, die Kostenfreiheit in der Bildung infrage zu stellen, und diesen Menschen noch zusätzlich Kitagebühren und Kosten für das Schulmittagessen auftragen zu wollen, halten wir für komplett unverantwortlich. Das ist kein bloßer sozialdemokratischer Abwehrreflex: Es ergibt politisch und ökonomisch keinen Sinn. Eine Staffelung der Gebühren nach Einkommen schafft außerdem einen großen zusätzlichen bürokratischen Verwaltungsaufwand. Die Ressourcen können wir anderswo in unseren Ämtern besser gebrauchen. Wir treten für eine Berliner SPD ein, die die staatliche Daseinsvorsorge als Recht und Leistung an alle seine Bürger:innen begreift und dementsprechend weiterentwickelt, nicht nur für einen engen Kreis.