Berlin braucht ein Update seiner Industriestrategie: Dafür braucht es die SPD

Unsere 5 Thesen für einen Neustart in der Berliner Industriepolitik

Ausgangslage: In der Vergangenheit hat sich Berlin erfolgreich als Kultur-, Wissenschafts- und Dienstleistungsmetropole profiliert. Diese positiven Entwicklungen fallen vor allem in die Amtszeiten von Klaus Wowereit und Michael Müller. Aktuell fehlt uns als Partei aber ein Markenkern im Hinblick auf die positive Weiterentwicklung unserer Stadt. Im Hinblick auf eine nachhaltige, wirtschaftliche Weiterentwicklung Berlins muss die SPD aus unserer Sicht wieder verstärkt das verarbeitende Gewerbe in den Blick nehmen. 

Neben einem starken Dienstleistungs- und Digitalsektor fehlt es in der Stadt aktuell an einer vorausschauenden Industrieentwicklung. Zwar gibt es seit 2010 einen „Steuerungskreis Industriepolitik“ beim Regierenden Bürgermeister, der zu einem ersten „Masterplan Industriestadt Berlin 2010-2020“ führte. Dennoch ist die Zahl der Industriebeschäftigten und der Betriebe im verarbeitenden Gewerbe seit Jahren rückläufig. So gab es in Berlin im Jahr 2004 noch 359 Betriebe und 81.970 Beschäftigte im verarbeitenden Gewerbe. Diese Zahlen sind bis 2023 nicht angestiegen, sondern auf 325 (Betriebe) und 73.013 (Beschäftigte) sogar leicht gesunken. Der letzte Anlauf, die Industriepolitik Berlins wiederzubeleben, liegt einige Jahre zurück und bezog sich auf den Zeitraum 2018-2021. Seitdem gab es keine wahrnehmbare Initiative mehr. Wir halten das für einen Fehler und wollen einen neuen Anlauf für ein Update der Berliner Industriestrategie nehmen. Für Berlin bietet das verarbeitende Gewerbe auf mehreren Ebenen Chancen und Potenziale. 

Die Berliner SPD steht für eine Industriepolitik, die gute Arbeitsplätze schafft und nachhaltiges Wachstum in Berlin und Brandenburg incentiviert. Mit unseren 5 Thesen wollen wir Themenfelder offenlegen, weshalb ein Update der Industriestrategie Chancen bietet: Für Berlin und für die SPD.

1. Innovative Industriepolitik als zentraler Baustein für den klimaneutralen Umbau unserer Wirtschaft. 

Die Klimakrise kann nur durch eine fortschrittliche Industriepolitik nachhaltig überwunden werden. Wir müssen Klimaschutz und Prosperität zusammenbringen. Eine Politik, die auf den Abbau von Industrie als grüne Zukunftslösung setzt, wird die Menschen und ihre Sorgen vor Arbeitsplatzverlust auf dem Weg in die klimaneutrale Welt verlieren. Daher muss die Berliner Politik Wege für Qualifizierung, Umbau der Wertschöpfungsketten, regionale Anwendungsbeispiele grüner Lösungen sowie den Umbau von Wohnen und Mobilität fördern.

Wir setzen uns für die richtigen Spielregeln ein – innerhalb Berlins und im Bund. Die Bepreisung von CO2 ist ein richtiges und wichtiges Instrument der Energiepolitik, da es die langfristige Lenkungswirkung hin zu klimaneutralen Technologien auslöst. Gleichzeitig müssen die Kosten für klimafreundliches Verhalten, etwa für die netzdienliche Stromnutzung und für die Sektorkopplung (Wärme, Mobilität, Wasserstoff), sinken. Berlin soll eine Energiesenke bzw. Energienachfrager für grünen Umlandstrom Brandenburgs sein. Dazu ist eine Strategie kooperativer Netz- und Energiepolitik beider Länder nötig. Berlin wird niemals seinen Bedarf an fossilfreier Energie alleine decken können – oder nur auf Kosten erheblicher Verdrängungen und Verteuerung von Wohnraum. Daher braucht es eine regionale Energie- und Industriepolitik aus einer Hand, die zum Vorteil beider Länder ausgestaltet wird. 

2. Wir schauen aufs Geld, damit die Energiewende bezahlbar bleibt. 

Das Kosten-Nutzen-Verhältnis jeder energie- und klimapolitischen Maßnahme gehört objektiv bewertet, etwa mit einem Label „Euro pro eingesparte Tonne CO2“. Denn den Berlinerinnen und Berlinern ist es nicht zu vermitteln, dass die gleichen Ergebnisse sie viel teurer zu stehen kommen als eigentlich nötig wäre.  Ambitionierte Energie- und Klimapolitik ist nicht nur eine Kostenposition, sondern zugleich eine Investition in handfeste Industriepolitik. Für Ansiedlungs- und Investitionsentscheidungen müssen Nachhaltigkeitsindikatoren den Ausschlag geben. Daher gilt es, auch die industriepolitische und die Arbeitsmarkt-Wirkung (z. B. Schaffung neuer und Erhalt bestehender, sehr guter Arbeitsplätze) der Maßnahmen zu bewerten und zu einer 360-Grad-Sicht auf Energie- und Klimapolitik zu gelangen. Wir brauchen ein sozial-ökologisches Trendbarometer, welches die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritte der Energie- und Klimapolitik fortlaufend und transparent bewertet. Auch hierbei möchten wir auf eine enge Zusammenarbeit mit Brandenburg hinwirken, wo es eines Monitorings des Kohleausstiegs und damit einhergehenden Strukturwandels bedürfen wird. Die Investitionsachse Lausitz-BER-Adlershof bietet dabei große Potenziale für den Umbau von Mobilität und Industrie in der Region. 

3. Die Berliner Wirtschaft braucht neue Wachstumspotenziale. 

Die Wachstumsprognose Berlins ist gerade im Bundesvergleich noch positiv. Dennoch sind die Herausforderungen für unsere Stadt künftig groß: stagnierendes Wachstum in der Start-up Branche, Flaute im Baugewerbe und eine angespannte Haushaltslage sind nur einige der Schlaglichter. Umso dringender ist daher die Frage zu beantworten, welche Wachstumspotenziale künftig für die Stadt bestehen. Hier lohnt es sich, die Perspektive auf das verarbeitende Gewerbe zu erweitern. Der industrielle Sektor ist in Berlin aktuell im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen unterrepräsentiert. Dabei liegt der Anreiz Berlins für Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe in der räumlichen Nähe zu Partnerunternehmen aus dem Digital –oder Dienstleistungssektor aber auch zum Kunden. Gerade für das konsumnahe verarbeitende Gewerbe bietet dieser Rahmen Anreize nach Berlin zu kommen. Auch die Ansiedlungen von Batterie- und Mikroelektronikproduktion im Sächsischen Raum (Silicon Saxony) oder der Lausitz bieten neue Chancen für Folgeansiedlungen in innovativen Zukunftsindustriezweigen in der Region Berlin-Brandenburg. Es liegt an der Politik, die Rahmenbedingungen attraktiv zu gestalten, um die Wachstumspotenziale nutzbar zu machen. Eine stärkere Innovationsorientierung bei der öffentlichen Auftragsvergabe wäre hierzu ein wichtiger erster Schritt.

4. Verarbeitendes Gewerbe als Förderer von Guter Arbeit in Berlin. 

Berlin liegt im Ländervergleich bei der Tarifbindung der Beschäftigten auf dem letzten Platz. Zum Vergleich: Die beiden anderen Stadtstaaten Bremen (1.) und Hamburg (9.) sind deutlich weiter oben angesiedelt. Hinzu kommt, dass der industrielle Sektor sich durch ein höheres Lohnniveau, eine stärkere Tarifbindung, eine ausgeprägte Gewerkschaftsbindung der Beschäftigten und starke Betriebsräte auszeichnet. Die verstärkte Ansiedlung von verarbeitendem Gewerbe in Berlin bringt demnach das Potenzial mit sich, gute Arbeit in Berlin zu fördern. Gerade dieser Aspekt muss Aufgabe der Sozialdemokratie sein. Wir können also zeigen, wie wir Gute Arbeit und wirtschaftlichen Fortschritt in Berlin zusammendenken und konkret umsetzen.

5. Der „Berliner Rahmen“ ist attraktiv für Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe. Für die Ansiedlung von Unternehmen aus dem industriellen Sektor bietet Berlin eigentlich gute Rahmenbedingungen. So studieren in unserer Hochschullandschaft tausende Studierende, die in der Stadt bleiben möchten und so als Fachkräfte direkt den Unternehmen zur Verfügung stehen könnten. Des Weiteren ist Berlin Anziehungsort für viele junge Menschen. Kurzum: Die Stadt böte verarbeitenden Unternehmen das Potenzial, dem Fachkräftemangel offensiv zu begegnen. Dafür müssen wir die landeseigenen Betriebe verpflichten, bezahlbaren Wohnraum für ihre Auszubildenden zu schaffen. Der Senat sollte hierfür Gelder zur Verfügung stellen, die auch von anderen Unternehmen genutzt werden könnten. Hinzu kommen die starken Digital- und Dienstleistungssektoren der Berliner Wirtschaft. Diese bieten das Potenzial, sektorenübergreifende und klimafreundliche Wertschöpfungsketten in der Stadt zu etablieren. Jüngstes Positivbeispiel in diesem Zusammenhang ist das Mercedes-Benz Werk in Marienfelde, in dem künftig mehr als 350.000 E-Autos produziert werden sollen. Darüber hinaus bieten die verarbeitenden Unternehmen gute Ausbildungsbedingungen, um eine neue Ausbildungsoffensive für Berlin zu starten. Ein weiterer Aspekt betrifft die 1000 Hektar freien Industrieflächen. Davon sind 45% in landeseigener Hand. Hier braucht es eine schnelle Prüfung, welche dieser Flächen der Industrie auch weiterhin zur Verfügung stehen oder aber, aufgrund von bspw. Lärmschutz, für den Bau von Wohnungen und sozialer Infrastruktur besser geeignet wären.

Wir sehen in einer neuen Industriestrategie das Potenzial, den Umbau der Berliner Wirtschaft hin zur Klimaneutralität zu beschleunigen. Hinzu kommen neue Wachstumspotenziale und verbesserte Arbeitsbedingungen. Dabei halten wir eine gemeinsame Industriestrategie mit Brandenburg gerade im Hinblick auf eine regionale Industrie- und Energienetzpolitik für essentiell. 

Für uns als Sozialdemokratie muss es darum gehen, Gute Arbeit, wirtschaftliches Wachstum und den klimaneutralen Umbau unserer Wirtschaft und Energieversorgung zusammenzudenken. Hier sehen wir eine der zentralen Aufgaben der SPD Berlin, wenn es um die langfristige Weiterentwicklung unserer Stadt geht. Diese Rolle müssen wir als Partei wieder annehmen und über die Tagespolitik hinaus denken.